digitale Kunst: Neue Medien, neue Welten

digitale Kunst: Neue Medien, neue Welten
digitale Kunst: Neue Medien, neue Welten
 
Diente der Computer bis etwa 1970 vor allem der massenhaften Informationsverarbeitung, benutzt man digitale Rechenanlagen seither in zunehmendem Maße auch für die Gestaltung von Bildern. Die Vermittlung der Information, wie ein Rechner funktioniert, und die Bewältigung der riesigen Datenmengen erforderten schon früh eine visuelle Präsentation. So entstanden das Interface, eine Benutzeroberfläche zur Bedienung und Erklärung der neuen Apparaturen, und Programme, die die Zahlenmengen automatisch als Blöcke, Kurven oder Torten darstellten. Komplexe Sachverhalte wurden visuell dargestellt, da Bilder unmittelbar informieren.
 
Die Großrechner entwickelten sich in den Achtzigerjahren zu Personalcomputern mit Farbmonitoren und grafiktauglichen Programmen, die das Desktop-Publishing, das Gestalten von Texten, Grafiken und Bildern an einer Bildschirmstation, ermöglichten. Aus den Rechenmaschinen für große Datenmengen wurde eine bilderschaffende Apparatur, die man für die bildende Kunst einzusetzen begann. Die Computertechnik veränderte allerdings den Werkbegriff und die Stellung des Künstlers: Kunst entstand nun am Rechner und nicht mehr mit Bleistift oder Pinsel auf Papier oder Leinwand. Der Künstler produzierte mit technischen Apparaten, benutzte den Scanner oder die Digitalkamera, bearbeitete die Bilder mit einem Grafikprogramm auf dem Monitor. Das Kunstwerk entstand mit dem Laserdrucker.
 
Digitalisierte man anfänglich nur das Bestehende, erfolgte später eine interaktive Verbindung der angelegten Datenbanken, die programmierte Kommunikation unterschiedlicher Ebenen. Das Resultat »Multimedia« umfasst auf einer Basis Wort, Bild und Ton, alles durch Bits, durch die Zeichen 0 und 1, kodifiziert. Die Vernetzung der an unterschiedlichen Orten befindlichen Computer schuf einen synthetischen Raum, den Cyberspace, eine »intelligente«, globale Infosphäre. Das Internet, ein Zusammenschluss teilweise eigenständiger Datennetze, ermöglichte schließlich in den Neunzigerjahren eine interaktive Kommunikation jenseits nationaler Grenzen - im Gegensatz zu den eindimensional-autoritativen Medien Hörfunk und Fernsehen. Bildeten Simulationen am Computer die Wirklichkeit ursprünglich nur nach, entwickelte sich innerhalb weniger Jahre eine immaterielle Digitalwelt. Diese virtuelle Realität ermöglichte das Eintauchen des Körpers in ein Mensch-Maschine-System, zunächst mit einer Datenbrille, auf die Bilder man spielte. Eine neue Welt hinter den Monitoren, in den elektronischen Maschinen wurde sichtbar.
 
Kunst als aufmerksamer Blick auf die reale Welt, der Mensch in ihrem Mittelpunkt - das waren die Ideen der Renaissance vor über 500 Jahren, die die mittelalterliche Glaubenswelt überwanden. Im souveränen Werk spiegelte sich damals die neuzeitliche Welt des »Uomo universale«, des Kunst und Handwerk miteinander verbindenden Künstlers, des sich Gott ähnlich wähnenden Schöpfers. Im frühen 20. Jahrhundert radikalisierten die russische Revolutionskunst, der Konstruktivismus und die am Bauhaus gelehrten Tendenzen den Künstler zum visuellen Ingenieur. Aus dem Atelier wurde ein experimentelles Labor, in dem die Künstler in produktiver Gemeinschaft zusammenarbeiteten - so jedenfalls die utopische Absicht. Heute schafft die Synthese von Kunst mit digitaler Technik neue künstlerische Möglichkeiten und irritiert das humanistische wie moderne Bewusstsein. Nicht mehr der Mensch oder der Avantgardist stehen im Mittelpunkt, sondern die technische Entwicklung: Kunst kommt »aus der Maschine«. Der Computer bildet dabei die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Gesucht sind Bilder - und weniger Kunstwerke - für die Massengesellschaft, deren ungeheurer Bildbedarf durch die handwerklich und individuell geprägte Produktionsweise bildender Kunst nicht mehr ausreichend befriedigt werden kann. Die zunehmende Durchdringung der Gesellschaft mit elektronisch erzeugten Bildern offenbart den Absolutheitsanspruch der neuen Medien.
 
Die interaktive Medienkunst kann man heute in drei Bild- oder Vorstellungswelten einteilen. In der herkömmlichen Sparte wird Wirklichkeit digitalisiert und im Computer nachbearbeitet. Dass Bilder ohne Aufwand per Mausklick dupliziert, gespiegelt, formal und farblich verändert werden können, ermöglicht glaubhafte Illusionen am Monitor, Fotografien, die perfekte Täuschungen sind, oder eine dreidimensionale Echtzeitdarstellung einer Vorstellung. Zweitens werden Bilder im Computer erstellt, es entstehen virtuelle Wirklichkeiten. Der Künstler schafft vorgestellte Welten mit Malprogrammen und verbindet die künstlichen Bilder zu einem bewegten Ablauf. Digitale Kunstwerke können den Betrachter als interaktiven Mitspieler einbeziehen. Dieser produziert dann selbst Bilder, die sich wiederum mit automatisch gerechneten Bildern verbinden oder diese modifizieren. Der Künstler gibt hierzu allein die Versuchsanlage vor, Kunst wird lustvolles Spiel. Sind hier solche Kunstwerke im Ausstellungsraum als Hardware für den Betrachter wenigstens noch materiell vorhanden, so spielt sich der dritte Bereich im Netz selbst ab. Kunst via Internet: Die Kommunikation wird zur Kunst, der Künstler zum Infodesigner, zum Medienkünstler zwischen Ökonomie, Technik und Gestaltung. Bilder haben nicht weiter einen einzigen Produzenten, sondern werden per Datenleitung zu anderen Rechnern geschickt und dann an den neuen Terminals verändert.
 
Bemerkte Walter Benjamin 1936 in seinem epochalen Essay »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, dass ein Kunstwerk durch Reproduktionsmittel wie etwa die Fotografie seine Aura und Originalität verliere, so ist heute der Verlust der Subjektivität des Künstlers festzustellen. Der Künstler kennt kein klassisches Copyright in der Netzkunst, findet eine Identität nur noch am Bildschirm. Der Paradigmenwechsel von Atomen zu Bits markiert den Modernisierungsschub von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Für die Kunst oder die Bilderwelt bedeutet dies den Übergang von der analog-alphabetischen zur digital-visuellen Welt, vom haptisch-linearen Denken zum virtuell-telematischen Vorstellen.
 
Dr. Jeannot Simmen
 
 
Kunst des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Ingo F. Walther. 2 Bände. Köln u. a. 1998.
 Thomas, Karin: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 101998.

Universal-Lexikon. 2012.

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